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Beitrag vom 30.03.2003
270 Fälle von Geschmacklosigkeit, Diskriminierung, Gewaltverherrlichung
Meike Bölts
Beschwerden über frauendiskriminierende, bzw. frauenverachtende Werbemaßnahmen sind im letzten Jahr leicht rückläufig gewesen - so der Vorsitzende des deutschen Werberates Jürgen Schrader.
Mitte März präsentierte der deutsche Werberat in Berlin die Jahresbilanz des von der Werbeindustrie eingesetzten Kontrollgremiums für 2002:
Insgesamt lagen dem Werberat 1.985 Einsprüche zu 389 Werbeaktionen vor.
Für 119 der Aktionen war der Werberat nicht zuständig, weil ein Rechtsverstoß vorlag, es sich nicht um Wirtschaftswerbung handelte oder gegen die Persönlichkeitsrechte der Beschwerdeführerin bzw. des Beschwerdeführers verstoßen wurde.
Auffällig hoch war im letzten Jahr die Menge der eingegangenen Beschwerden.
Das Anschwellen auf das Dreifache des Vorjahres ist darauf zurückzuführen, dass eine einzige Kampagne über 1.000 Beschwerden nach sich zog: Die Bild-Zeitung hat im letzten Jahr Werbung für eine redaktionelle Reihe über die sexuellen Vorlieben von Frauen geschaltet. Die Frauen waren jeweils mit anzüglichen Sprüchen, wie zum Beispiel "Mittags krieg ich Hunger. Auf Sex.", abgebildet. Der Werberat stimmte in diesem Fall nicht mit den Beschwerden überein und berief sich dabei auf die Pressefreiheit:
Die Plakate hätten eindeutig auf ein redaktionelles Vorhaben, eine Serie, aufmerksam gemacht. "Die für redaktionelle Beiträge grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit gilt gleichfalls für die Bewerbung solcher Redaktionsangebote", sagte Schrader. Trotz einiger moralischer Fragezeichen könne die Werbung auch nicht als frauendiskriminierend eingestuft werden. Die abgebildeten Frauen hätten sich über ihre persönlichen Bedürfnisse geäußert.
Insgesamt unterstützte der Werberat rund ein Drittel der Beschwerden:
81 Werbemaßnahmen wurden daraufhin aus dem Markt entfernt oder entsprechend abgeändert. Sechs davon allerdings erst, nachdem der Werberat zu seinem härtesten Werkzeug gegriffen hatte: Der öffentlichen Rüge.
Die Statistik der Vorwürfe der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer liest sich wie folgt:
Unterstellte Vorwürfe | Anzahl Werbemaßnahmen |
| 2000 | 2001 | 2002 |
Frauendiskriminierung | 89 | 108 | 99 |
Gefährdung von Kindern/Jugendlichen allg. | 17 | 21 | 29 |
Gewaltdarstellung | 40 | 40 | 26 |
Diskriminierung von Personen/-gruppen | 2 | 8 | 19 |
Verletzung religiöser Gefühle | 16 | 35 | 11 |
Rassendiskriminierung | 9 | 8 | 6 |
Verstoß gegen Alkoholregeln des Werberats | 6 | 5 | 5 |
Verstoß gegen Kinderregeln des Werberats | - | 17 | 5 |
Darstellung gefährlicher Situationen | 4 | 5 | 3 |
Männerdiskriminierung | 4 | - | - |
andere Inhalte | 81 | 58 | 67 |
Gesamt | 268 | 305 | 270 |
Quelle: Jahrbuch Deutscher Werberat 2003 |
Jürgen Schrader betonte auf der Pressekonferenz, dass
trotz Wirtschaftskrise kein Trend zu Provokationen zu erkennen sei:
Bei der Entscheidung, wie eine Firma mit ihrer Werbung öffentlich auftritt, werde soziales Mitfühlen eher groß als klein geschrieben. Missbrauch von Erotik und Sexualität, Gewaltdarstellungen, Verletzung religiöser Gefühle, Gefährdung von Kindern und Jugendlichen vermeide die Wirtschaft weitgehend.
Dies ist eine äußerst wohlwollende Feststellung.
Denn 270 Fälle von Geschmacklosigkeit, Diskriminierung, Gewaltverherrlichung und ganz einfach nur Dummheit zeigen, dass beinahe an jedem Arbeitstag irgendeine Werbeagentur oder eine Marketingabteilung Moral Moral sein lässt und Provokation willentlich in Kauf nimmt. Haben diese Unternehmen kein Interesse an dem Wert ihrer Marke?
Weitere Informationen zum Werberat sind zu finden unter www.werberat.de.
Haben Sie eine Werbeaktion gesehen, die Ihnen fragwürdig erscheint? Dann mailen Sie uns: mies@aviva-berlin.de. Wir werden die Beschwerde an den Werberat weiterleiten und Sie über den Stand der Dinge auf dem Laufenden halten.